Ein Hund

Sechs schwar­ze und drei hel­le Hun­de­ba­bys wut­zeln sich drun­ter und drü­ber durch den klei­nen abge­trenn­ten Raum im Wohn­zim­mer des Züch­ters. Mein Herz geht auf. Einer süßer als der ande­re. „Wir neh­men den Schwar­zen, der sich am bes­ten durch­set­zen kann“, schla­ge ich mei­nem Mann vor.“

Essens­zeit. Eine gro­ße Schüs­sel für neun Wel­pen. Wäh­rend sich die meis­ten lang­sam auf den Weg dort­hin machen, schießt ein ganz und gar nicht schwar­zer Wel­pe ziel­stre­big auf die Schüs­sel zu, schiebt zwei zur Sei­te, springt mit den Vor­der­pfo­ten mit­ten hin­ein und beginnt — unüber­hör­bar — das Fut­ter zu ver­schlin­gen. Mein Mann lacht und ruft: „Der ist es!“

Zwei Wochen spä­ter zieht der klei­ne „Will­wood Waters Arthur the King“ bei uns ein. Tags dar­auf bekommt er von der Nach­ba­rin einen Namen dazu: Cino. Cino von Cappuccino.

Da ich mit Tie­ren auf­ge­wach­sen bin, scheint für mich alles klar: Ich bin der Chef. Der Hund bekommt Fut­ter, bewacht das Haus und wird beim Vor­bei­ge­hen gestrei­chelt. Fer­tig! So habe ich es gelernt.

Doch jetzt… Schau ich ihn an, geht mir das Herz über und ich fra­ge mich, was er will, was er sucht, war­um er mich so anschaut, ob ich jetzt eine Run­de mit ihm gehen soll? wie weit? wo? Hat er Hun­ger? schon wie­der oder noch immer? War­um hört er nicht auf mich? Wie sag ich’s ihm am bes­ten? Bin wirk­lich ich der Chef?

Wir gehen in die Hun­de­schu­le. Das Trai­ning inter­es­siert ihn nicht, nur der mit Lecker­lis gespick­te Rasen des Trai­nings­plat­zes. Er blickt sich erst wie­der nach mir um, nach­dem er alles ver­fut­tert hat. Das war’s, den­ke ich mir und wir ver­las­sen flucht­ar­tig den Kurs. O.k., dann machen wir es halt allei­ne. Er trai­niert mich und ich ver­su­che, ihm wenigs­tens “Sitz!” und “Steh!” beizubringen. 

Er wird mein Assis­tent, mein Weg­be­glei­ter, mein Leh­rer und mein Freund. Er bringt mir bei, klar und direkt zu sagen, was ich will, zu sehen, zu stau­nen, zu lachen, zu sein. 

Und das wohl Wich­tigs­te für mich: Er hilft mir, mein Herz zu öff­nen und still zu wer­den im Kopf. Mit zwölf­ein­halb Jah­ren macht er sich wie­der auf den Weg. In den Stun­den, die ich neben sei­nem toten Kör­per im Gar­ten ver­brin­ge, um mich zu ver­ab­schie­den, tau­che ich in eine neue Qua­li­tät in mei­ner Bezie­hung zu ihm ein. Er scheint mich in eine unend­li­che Wei­te zu füh­ren, in eine Stil­le und eine Kraft, die ich so zuvor noch nie erlebt habe. In die­ser Wei­te sehe ich, dass mei­ne Gedan­ken kei­ne Bedeu­tung haben und die­ser Ver­bin­dung, die sich wie ein ewi­ger Lie­bes­raum anfühlt, nichts anha­ben können.

Wird die Trau­er über sei­nen Ver­lust in den Mona­ten danach zu groß, hole ich die­se Erin­ne­rung her­vor, ver­bin­de mich mit der Lie­be und deh­ne mich in ihr aus. Für die­ses letz­te Geschenk bin ich ihm unend­lich dankbar.

Zuerst erschie­nen auf story.one