Ein Haus

„In einem eige­nen Haus zu leben, das wäre schön.“ „Ein Haus zu haben, ist spie­ßig!“ „Ein Haus? Viel zu viel Arbeit! … und über­haupt: Wo bit­te soll denn das Geld dafür her­kom­men?“  Sol­che wider­sprüch­li­chen Gedan­ken beglei­ten mich seit dem Tag, an dem ich mein Eltern­haus ver­las­sen habe. „Besitz“, habe ich von mei­nen Eltern gelernt, „bringt nichts als Sor­gen!“ Und bei die­sem Glau­bens­satz will ich es belassen.

Doch dann führt mich mein Weg zu einem Semi­nar auf der Insel Paros, bei dem wir unse­ren größ­ten Wunsch visua­li­sie­ren sol­len. Und was taucht aus mei­nem Inners­ten auf? Ein Haus. So kon­kret, dass ich alle Details vor mei­nem geis­ti­gen Auge sehen, hören und rie­chen kann. Schwer beein­druckt davon, wie leicht sich alles anfühlt, rei­se ich mit mei­nem Wunsch nach Hau­se und schen­ke ihn mei­nem Mann.

Hoch­mo­ti­viert fah­ren wir durch die Gegend, um nach Grund­stü­cken Aus­schau zu hal­ten. Nach drei Wochen bin ich heil­froh, nichts gefun­den zu haben, und wid­me mich wie­der mit Hin­ga­be mei­nem gewohn­ten Leben. Als mir Mona­te spä­ter mein Bru­der erzählt, dass es sei­nen Freun­den, deren Tele­fon­num­mer er mir gleich nach mei­nem Auf­ent­halt auf Paros gege­ben hat, nun Ernst sei mit dem Grund­stücks­ver­kauf, mel­det sich eine Stim­me in mir: „Jetzt ist es soweit! Jetzt musst du han­deln!“ Beim Betre­ten des zum Ver­kauf ste­hen­den Grund­stü­ckes blei­be ich wie ange­wur­zelt ste­hen. Auf einer leich­ten Anhö­he steht das Haus, das ich bei dem Semi­nar gese­hen habe, und ich weiß, dass wir hier leben wer­den. Ein Hin­der­nis nach der ande­ren löst sich in Luft auf und einen Monat spä­ter feie­re ich mit mei­nem Mann und mei­nem Sohn auf der Ter­ras­se des Hau­ses den Kaufvertrag.

Nach­dem alle finan­zi­el­len Mit­tel für die­ses Vor­ha­ben inklu­si­ve Kre­di­te aus­ge­schöpft und wir noch dabei sind, uns von der Kraft unse­rer Ent­schlos­sen­heit zu erho­len, fra­ge ich eine befreun­de­te Archi­tek­tin: „Sag, wo an dem Bun­ga­low wür­dest du ein Zim­mer anbau­en?“ Mit dem Leit­spruch „Wir müs­sen ja nichts umset­zen, aber es sich vor­zu­stel­len ist doch schön!“ moti­vie­re ich mei­nen Mann zu regel­mä­ßi­gen Tref­fen mit ihr, bei denen sie uns immer wie­der mit neu­en und attrak­ti­ven Aus­bau­mög­lich­kei­ten über­rascht. Ein Jahr spä­ter sit­zen wir vor einem wun­der­schö­nen Modell eines voll­kom­men neu­en Hau­ses. Es wirkt so real und beein­dru­ckend, dass ich alles dran­set­zen will, den Bau zu ermög­li­chen. Mei­ne Begeis­te­rung lässt kei­ne Zwei­fel auf­kom­men und sie springt schließ­lich auch auf mei­nen Mann über.

Nach vie­len erfolg­lo­sen Ver­su­chen, an Geld für den Bau her­an­zu­kom­men, sind wir schon fast am Auf­ge­ben. Da besucht uns am Abend vor einer mei­ner beruf­li­chen Rei­sen ein mög­li­cher Kre­dit­ge­ber zu Hau­se. Mein Mann liegt mit Fie­ber im Bett. Als ich ihn sagen höre: „Sie müs­sen ver­rückt sein, wenn Sie uns einen Kre­dit geben. Mei­ne Frau ist dabei, in die Wüs­te abzu­hau­en und ich lie­ge im Ster­ben!“, da weiß ich, dass wir es geschafft haben. Unser Humor und unse­re krea­ti­ve Kraft sind grö­ßer als alle Ängs­te und Zweifel.

 

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